Freitag, November 7, 2025
spot_imgspot_img

Top 5 This Week

spot_img

Related Posts

Google Translate mit Gemini: Eine kritische Analyse des KI-Quantensprungs

Die Welt der digitalen Kommunikation erlebt eine stille, aber tiefgreifende Revolution. An vorderster Front steht Google, ein Unternehmen, das wie kein anderes die Art und Weise geprägt hat, wie wir auf Informationen zugreifen. Nun stößt der Tech-Gigant mit der Integration seines fortschrittlichsten KI-Modells, Gemini, in den Google Translate-Dienst in eine neue Dimension vor. Diese Entwicklung ist weit mehr als nur ein inkrementelles Update; sie ist ein Paradigmenwechsel, der das Potenzial hat, die maschinelle Übersetzung von einer oft fehlerbehafteten Notwendigkeit in ein nuanciertes, kontextbewusstes Werkzeug zu verwandeln.

Doch während die Marketing-Botschaften von einer neuen Ära der fehlerfreien Verständigung sprechen, ist eine kritische Analyse unerlässlich. Was bedeutet die Einführung von Gemini in Google Translate wirklich für den Nutzer, für professionelle Übersetzer und für die globale Kommunikationslandschaft? Handelt es sich um einen echten Quantensprung, der sprachliche Feinheiten meistert, oder nur um eine schrittweise Verbesserung, deren Grenzen schnell sichtbar werden? Dieser Beitrag wirft einen tiefen und kritischen Blick auf die Technologie, ihre Implikationen und die Zukunft der künstlichen Intelligenz in der Sprachverarbeitung. Wir analysieren nicht nur, was Google verspricht, sondern auch, was die Technologie derzeit tatsächlich leistet – und wo die Fallstricke liegen.

Der Status Quo: Maschinelle Übersetzung vor Gemini

Um die Bedeutung der Gemini-Integration zu verstehen, ist ein Rückblick auf die Entwicklung von Google Translate unerlässlich. Der Dienst hat sich von einem einfachen statistischen Werkzeug zu einem komplexen neuronalen System entwickelt, das Milliarden von Nutzern täglich unterstützt.

Von Phrasen zu Neuronen: Die Evolution von Google Translate

Die Anfänge von Google Translate waren von der statistischen maschinellen Übersetzung (SMT) geprägt. Dieses System zerlegte Sätze in Wörter und Phrasen und suchte in riesigen Datenbanken zweisprachiger Texte nach den wahrscheinlichsten Entsprechungen. Das Ergebnis waren oft holprige, wörtliche Übersetzungen, die zwar den groben Sinn vermittelten, aber jeglicher sprachlichen Eleganz und kontextuellen Genauigkeit entbehrten. Jeder, der den Dienst vor 2016 nutzte, erinnert sich an die oft unfreiwillig komischen Resultate.

Der erste große Wendepunkt kam 2016 mit der Einführung von Google Neural Machine Translation (GNMT). Anstatt Sätze in kleine Teile zu zerlegen, betrachtete dieses System ganze Sätze als eine Einheit. Basierend auf tiefen neuronalen Netzwerken lernte das Modell, die Beziehungen zwischen Wörtern zu verstehen und komplexere grammatikalische Strukturen zu bilden. Die Übersetzungsqualität verbesserte sich über Nacht dramatisch. Die Sätze wurden flüssiger, die Wortwahl besser und der Kontext wurde erstmals in einem grundlegenden Maße berücksichtigt. GNMT war der Motor, der Google Translate zu einem globalen Standard machte, der in unzähligen Anwendungen, von Webbrowsern bis hin zu Reise-Apps, integriert ist.

Die Grenzen neuronaler Übersetzungssysteme

Trotz der enormen Fortschritte durch GNMT und ähnliche Architekturen stießen neuronale Übersetzungssysteme an klare Grenzen. Diese Probleme sind der Schlüssel zum Verständnis, warum der Schritt zu Modellen wie Gemini so entscheidend ist.

  1. Mangelndes Kontextverständnis: Traditionelle NMT-Systeme hatten Schwierigkeiten, den Kontext über einen einzelnen Satz hinaus zu verstehen. Redewendungen, Metaphern und kulturell spezifische Anspielungen wurden oft wörtlich und somit falsch übersetzt. Ein Satz mag grammatikalisch korrekt sein, aber im Kontext des gesamten Absatzes oder Dokuments völlig deplatziert wirken.
  2. Fehlende Nuancierung und Tonalität: Sprache ist mehr als nur die Summe ihrer Wörter. Ob ein Text formell, informell, ironisch oder poetisch ist, ging in der Übersetzung oft verloren. NMT-Modelle tendierten dazu, alles in einem neutralen, sachlichen Ton wiederzugeben, was besonders bei der Übersetzung von Literatur, Marketingtexten oder persönlicher Kommunikation problematisch war.
  3. Umgang mit Mehrdeutigkeit: Viele Wörter haben je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen (Polysemie). Ein klassisches Beispiel ist das englische Wort „bank“, das sowohl eine Finanzinstitution als auch ein Flussufer bezeichnen kann. Ohne ein tieferes Verständnis des umgebenden Textes trafen die Modelle oft die falsche Wahl.
  4. Kreativität und Stil: Die Übersetzung von kreativen oder literarischen Texten erfordert nicht nur Genauigkeit, sondern auch stilistisches Gespür. NMT-Modelle waren darauf trainiert, die wahrscheinlichste Übersetzung zu finden, nicht die kreativste oder eleganteste. Sie reproduzierten, anstatt zu gestalten.

Diese Defizite machten deutlich, dass der nächste Schritt in der maschinellen Übersetzung ein grundlegend neues Modell erfordern würde – eines, das nicht nur Muster erkennt, sondern Sprache auf einer tieferen, fast menschlichen Ebene „versteht“. Hier kommt Gemini ins Spiel.

Gemini: Mehr als nur ein Sprachmodell

Die Einführung von Gemini durch Google markiert den Beginn einer neuen Ära für die künstliche Intelligenz. Im Gegensatz zu früheren Modellen, die oft auf eine einzige Modalität (wie Text) spezialisiert waren, wurde Gemini von Grund auf als multimodales Sprachmodell konzipiert. Das bedeutet, es kann gleichzeitig Text, Bilder, Audio und Code verarbeiten und verstehen. Diese Fähigkeit zur multimodalen Informationsverarbeitung ist der Schlüssel zu seinem Potenzial, die maschinelle Übersetzung zu revolutionieren.

Die Architektur von Gemini: Was steckt dahinter?

Google hat Gemini in drei Größen veröffentlicht, um unterschiedliche Anwendungsfälle abzudecken:

ModellvarianteKonzipiert für…Hauptmerkmale
Gemini UltraHochkomplexe AufgabenDas größte und leistungsfähigste Modell, das in Benchmarks menschliche Experten in einigen Bereichen übertrifft.
Gemini ProSkalierbare, vielseitige AnwendungenEin Allround-Modell, das eine Balance zwischen Leistung und Effizienz bietet. Dies ist die Variante, die derzeit in viele Google-Produkte integriert wird.
Gemini NanoOn-Device-AnwendungenEin schlankes, effizientes Modell für den Einsatz direkt auf Mobilgeräten, auch ohne Internetverbindung.

Für Google Translate ist vor allem die Fähigkeit von Gemini Pro relevant, komplexe logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Während frühere Modelle wie LaMDA oder PaLM bereits beeindruckend waren, wurde Gemini darauf trainiert, subtile Zusammenhänge zu erkennen und Informationen aus verschiedenen Quellen zu synthetisieren. Es kann nicht nur übersetzen, sondern auch den Kontext, den Ton und die Absicht hinter einem Text analysieren.

Ein konkretes Beispiel: Bei der Übersetzung eines literarischen Textes könnte Gemini nicht nur die Worte übersetzen, sondern auch erkennen, dass es sich um Poesie handelt, den Rhythmus und das Reimschema analysieren und versuchen, diese stilistischen Elemente in der Zielsprache nachzubilden. Dies geht weit über die Fähigkeiten traditioneller NMT-Systeme hinaus.

Der „Advanced Mode“ in Google Translate: Eine kritische Betrachtung

Die Integration von Gemini in Google Translate manifestiert sich in einer neuen Funktion, die einigen Nutzern bereits zur Verfügung steht: ein Modellwähler, der zwischen einem „schnellen“ und einem „fortgeschrittenen“ Modus unterscheidet.

  • Schneller Modus: Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um das bewährte neuronale Übersetzungsmodell (GNMT). Es ist auf Geschwindigkeit und Effizienz optimiert und liefert die bekannten, meist soliden, aber nicht immer perfekten Ergebnisse.
  • Fortgeschrittener Modus: Dieser Modus nutzt die Rechenleistung und das tiefe Verständnis von Gemini. Die Übersetzung dauert zwar einen Moment länger, verspricht aber eine deutlich höhere Genauigkeit, besseren Kontextbezug und eine angemessenere stilistische Wiedergabe.

Ein von Testern durchgeführtes Beispiel mit einem Auszug aus Molières „Le Misanthrope“ illustriert den Unterschied eindrucksvoll. Der schnelle Modus lieferte eine fast wörtliche, aber holprige Übersetzung. Der fortgeschrittene Modus hingegen erfasste den poetischen, leicht antiquierten Stil des französischen Originals und lieferte eine englische Version, die sowohl inhaltlich korrekt als auch stilistisch angemessen war.

Dies zeigt das Kernversprechen von Gemini in Google Translate: Der Wechsel von reiner Transkription zu echter Interpretation. Das System versucht nicht mehr nur, Wörter zu ersetzen, sondern die Bedeutung und den Stil des Originals in der Zielsprache neu zu erschaffen.

Allerdings gibt es auch hier kritische Punkte:

  1. Begrenzte Verfügbarkeit: Derzeit ist der fortgeschrittene Modus nur für wenige Sprachpaare (z. B. Englisch-Französisch, Englisch-Spanisch) und eine begrenzte Nutzergruppe verfügbar. Es wird Jahre dauern, bis diese Qualität für eine breite Palette von Sprachen, insbesondere für solche mit weniger digitalen Ressourcen, erreicht wird.
  2. Latenz: Die höhere Qualität hat ihren Preis. Der „fortgeschrittene“ Modus ist spürbar langsamer. Für Echtzeitanwendungen wie die Konversationsübersetzung könnte dies vorerst ein Hindernis sein.
  3. Abhängigkeit von der Gemini-App: Für maximale Genauigkeit und zusätzliche Kontextinformationen verweist Google die Nutzer oft direkt auf die eigenständige Gemini-App. Dies fragmentiert die Nutzererfahrung und wirft die Frage auf, ob Google Translate langfristig nur noch ein Frontend für das mächtigere Gemini-Backend sein wird.

Die Integration von Gemini ist zweifellos ein Meilenstein. Sie verschiebt die Grenzen dessen, was wir von maschineller Übersetzung erwarten können. Doch der Weg zu einer universell verfügbaren, in Echtzeit funktionierenden und wirklich nuancierten KI-Übersetzung ist noch weit.

Die Auswirkungen auf Nutzer und Branchen

Die Einführung einer derart leistungsstarken künstlichen Intelligenz in ein so weit verbreitetes Werkzeug wie Google Translate wird weitreichende Konsequenzen haben. Diese betreffen nicht nur den alltäglichen Nutzer, sondern erschüttern auch die Grundfesten ganzer Berufsfelder.

Für den alltäglichen Nutzer: Eine neue Qualität der Verständigung?

Für die Milliarden von Menschen, die Google Translate täglich für schnelle Übersetzungen von Webseiten, E-Mails oder Nachrichten nutzen, bedeutet die Gemini-Integration einen spürbaren Qualitätssprung.

  • Besseres Verständnis von Webinhalten: Das Lesen ausländischer Nachrichtenartikel, Blogs oder Foren wird flüssiger und genauer. Kulturelle Nuancen und idiomatische Ausdrücke, die früher zu Verwirrung führten, könnten nun korrekt interpretiert werden.
  • Verbesserte internationale Kommunikation: Die schnelle E-Mail an einen Geschäftspartner in einem anderen Land oder die Nachricht an einen Freund im Ausland wird weniger fehleranfällig. Die Gefahr von Missverständnissen durch unglückliche wörtliche Übersetzungen sinkt.
  • Reisen wird einfacher: Auf Reisen wird die App noch nützlicher. Das Entziffern von Speisekarten, Schildern oder Anweisungen wird zuverlässiger. Die Echtzeit-Konversationsfunktion, sobald sie mit Gemini-Qualität arbeitet, könnte Sprachbarrieren im persönlichen Gespräch fast vollständig auflösen.

Jedoch entsteht auch eine neue Gefahr: blindes Vertrauen. Wenn die Übersetzungen zu 99 % perfekt sind, neigen Nutzer dazu, dem System auch in dem einen kritischen Prozentpunkt zu vertrauen, in dem es einen subtilen, aber entscheidenden Fehler macht. Die Fähigkeit zur kritischen Überprüfung einer maschinellen Übersetzung wird paradoxerweise wichtiger denn je, je besser die Technologie wird.

Die Disruption der Übersetzungsbranche

Für professionelle Übersetzer und die Sprachdienstleistungsbranche ist die Gemini-Integration sowohl eine Bedrohung als auch eine Chance. Die Vorstellung, dass eine KI den menschlichen Übersetzer vollständig ersetzen kann, ist seit Jahrzehnten ein Schreckgespenst der Branche. Mit Gemini rückt dieses Szenario für bestimmte Bereiche in greifbare Nähe.

Bedrohung: Die Automatisierung von Standardübersetzungen

Aufgaben, die bisher einen erheblichen Teil des Marktes ausmachten, werden zunehmend automatisiert:

  • Technische Dokumentationen: Handbücher, Datenblätter und standardisierte Berichte, bei denen es auf konsistente Terminologie und weniger auf kreativen Stil ankommt, sind ideale Kandidaten für eine Gemini-gestützte Übersetzung.
  • E-Commerce: Die Übersetzung von Tausenden von Produktbeschreibungen für internationale Online-Shops kann nun mit hoher Qualität und zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten erfolgen.
  • Grundlegende Geschäftskommunikation: Interne E-Mails, einfache Verträge oder Präsentationen können oft ohne menschliches Eingreifen übersetzt werden.

Dies wird unweigerlich zu einem Preisverfall in diesen Segmenten führen und die Geschäftsmodelle vieler Übersetzungsagenturen und freiberuflicher Übersetzer unter Druck setzen.

Chance: Der Übersetzer als „KI-Kurator“ und Experte

Gleichzeitig eröffnet die Technologie neue Rollen und hebt die Bedeutung menschlicher Expertise in anderen Bereichen hervor.

  1. Post-Editing auf höchstem Niveau: Die Rolle des Übersetzers wandelt sich vom Schöpfer eines Textes zum Veredler und Kurator. Anstatt von Grund auf neu zu übersetzen, überprüfen, korrigieren und verfeinern menschliche Experten die von der KI erstellten Entwürfe. Dieser Prozess, bekannt als Post-Editing of Machine Translation (PEMT), erfordert ein hohes Maß an sprachlichem Feingefühl und Fachwissen.
  2. Spezialisierung auf High-End-Bereiche: Bereiche, in denen Nuancen, Kreativität und kulturelle Anpassung (Transkreation) entscheidend sind, bleiben eine menschliche Domäne. Dazu gehören:
    • Marketing und Werbung: Die Übertragung einer Werbebotschaft, die in einer Kultur funktioniert, in eine andere erfordert mehr als nur Übersetzung.
    • Literatur und Poesie: Die künstlerische Dimension von Sprache bleibt für die KI eine immense Hürde.
    • Rechtliche und medizinische Texte mit hohem Risiko: Wo ein einziger Fehler schwerwiegende Konsequenzen haben kann, ist die Endkontrolle durch einen menschlichen Fachexperten unverzichtbar.
  3. Prompt Engineering und KI-Training: Eine neue Spezialisierung entsteht: Übersetzer, die lernen, wie man KI-Modelle wie Gemini optimal anleitet („promptet“), um die bestmöglichen Ergebnisse für spezifische Aufgaben zu erzielen. Sie werden auch bei der Erstellung und Kuratierung von Trainingsdaten für zukünftige, noch bessere Modelle eine Schlüsselrolle spielen.

Die folgende Tabelle fasst die Transformation des Berufsbildes zusammen:

Traditionelle Rolle des ÜbersetzersZukünftige Rolle des Übersetzers
Erstellung der Übersetzung von Grund aufPost-Editing & Veredelung von KI-Entwürfen
Fokus auf sprachliche KorrektheitFokus auf Stil, Tonalität und kulturelle Anpassung
Generalistische TätigkeitenSpezialisierung auf kreative, komplexe und risikoreiche Inhalte
Werkzeuge: CAT-Tools (Computer-Aided Translation)Werkzeuge: KI-Plattformen, Prompt-Interfaces, Qualitätssicherungstools

Die Gemini-Revolution wird die Übersetzungsbranche nicht auslöschen, aber sie wird sie fundamental verändern. Diejenigen, die sich an die neue Rolle als Partner und Veredler der künstlichen Intelligenz anpassen, werden auch in Zukunft unverzichtbar sein. Diejenigen, die sich weigern, werden von der Technologie überholt werden.

Ethische Fragen und die Zukunft der Sprache

Die Implementierung eines so mächtigen Sprachmodells wirft unweigerlich tiefgreifende ethische Fragen auf. Diese betreffen den potenziellen Missbrauch, die Bewahrung der sprachlichen Vielfalt und die langfristigen Auswirkungen auf die menschliche Kommunikation.

Bias und Manipulation: Die dunkle Seite der KI

Jedes KI-Modell ist nur so gut wie die Daten, mit denen es trainiert wurde. Die riesigen Textmengen, die für das Training von Gemini verwendet wurden, spiegeln die menschliche Gesellschaft wider – mit all ihren Vorurteilen und Voreingenommenheiten.

  • Verstärkung von Stereotypen: Studien haben gezeigt, dass Sprachmodelle dazu neigen, geschlechtsspezifische, rassistische oder kulturelle Stereotypen zu reproduzieren und zu verstärken. Bei der Übersetzung kann dies dazu führen, dass geschlechtsneutrale Begriffe in einer Sprache in einer anderen geschlechtsspezifisch wiedergegeben werden (z.B. „the doctor“ wird im Deutschen zu „der Arzt“). Google arbeitet aktiv daran, diese Probleme zu minimieren, aber eine vollständige Beseitigung ist eine immense Herausforderung.
  • Potenzial für Desinformation: Ein Werkzeug, das überzeugende und stilistisch einwandfreie Texte in jeder Sprache erstellen kann, ist auch ein mächtiges Instrument zur Verbreitung von Propaganda und Fake News. Stellen Sie sich vor, wie gezielte Desinformationskampagnen gleichzeitig in Dutzenden von Sprachen mit kulturell angepassten Botschaften ausgerollt werden. Die Erkennung solcher Kampagnen wird exponentiell schwieriger.
  • Subtile Beeinflussung: Die KI könnte, bewusst oder unbewusst, bestimmte politische oder kommerzielle Ansichten in ihren Übersetzungen bevorzugen. Eine leicht veränderte Wortwahl bei der Übersetzung eines politischen Artikels kann die Wahrnehmung des Lesers erheblich beeinflussen. Die Frage, wer die algorithmische Kontrolle über diese Nuancen hat, ist von zentraler Bedeutung für demokratische Gesellschaften.

Die Bedrohung der sprachlichen Vielfalt

Während Google Translate den Zugang zu vielen Sprachen erleichtert, birgt es auch die Gefahr einer linguistischen Homogenisierung.

  • Dominanz des Englischen: Die leistungsfähigsten KI-Modelle werden primär mit englischsprachigen Daten trainiert. Dies führt dazu, dass die Übersetzungsqualität von und nach Englisch am höchsten ist. Oftmals wird bei der Übersetzung zwischen zwei kleineren Sprachen (z. B. Baskisch nach Finnisch) Englisch als Brückensprache („pivot language“) verwendet. Der Text wird also erst ins Englische und dann in die Zielsprache übersetzt, was zu einem doppelten Informationsverlust und einer „Verenglischung“ des Ausdrucks führt.
  • Verlust von Dialekten und seltenen Sprachen: KI-Modelle lernen aus großen Datenmengen. Für Dialekte, regionale Varianten und Sprachen mit wenigen Sprechern („low-resource languages“) gibt es oft nicht genügend Trainingsdaten. Die Folge: Diese Sprachen werden von den Modellen entweder ignoriert oder in eine standardisierte Hochsprache „übersetzt“. Dies beschleunigt den ohnehin schon dramatischen globalen Sprachenschwund. Ein Werkzeug, das vorgibt, die Welt zu verbinden, könnte paradoxerweise zur Auslöschung ihrer sprachlichen Vielfalt beitragen.

Ausblick: Die Koexistenz von Mensch und KI

Die Zukunft der Übersetzung und der globalen Kommunikation liegt nicht in einem „Mensch gegen Maschine“-Szenario, sondern in einer intelligenten Symbiose. Gemini und zukünftige Modelle werden die Basisarbeit leisten, die menschlichen Experten werden die Qualität sichern, die Kreativität einbringen und die ethische Aufsicht führen.

Meine Prognose ist, dass sich die maschinelle Übersetzung in den nächsten fünf bis zehn Jahren in zwei Richtungen entwickeln wird:

  1. „Gute-genug“-Übersetzung: Für 95 % aller alltäglichen Anwendungsfälle wird die KI-gestützte Übersetzung (wie sie in Google Translate integriert ist) zum Standard. Sie wird schnell, kostenlos und von so hoher Qualität sein, dass ein menschliches Eingreifen nicht mehr notwendig ist.
  2. Premium-Human-Translation: Für die restlichen 5 % – hochkreative, hochriskante und hochsensible Inhalte – wird die Nachfrage nach menschlichen Experten sogar steigen. Der Wert ihrer Arbeit wird zunehmen, da sie die einzige Instanz sind, die absolute Genauigkeit, kulturelle Anpassung und rechtliche Absicherung garantieren kann.

Google Translate mit Gemini ist kein Endpunkt, sondern ein entscheidender Meilenstein auf einer langen Reise. Es zwingt uns, unsere Beziehung zur Sprache, zur Technologie und zueinander neu zu definieren. Die Herausforderung besteht darin, die enormen Vorteile dieser Technologie zu nutzen, während wir gleichzeitig wachsam gegenüber ihren Risiken bleiben und die unersetzliche Tiefe und Vielfalt der menschlichen Sprache bewahren.


FAQs (Häufig gestellte Fragen)

1. Was ist Google Gemini?

Gemini ist das bisher leistungsstärkste und flexibelste KI-Modell von Google. Es ist „multimodal“, was bedeutet, dass es verschiedene Arten von Informationen wie Text, Bilder, Audio und Code gleichzeitig verarbeiten und verstehen kann. Es wurde entwickelt, um komplexe logische Schlussfolgerungen zu ziehen und nuancierte Kontexte zu verstehen.

2. Wie verbessert Gemini die Übersetzungen in Google Translate?

Gemini verbessert Übersetzungen, indem es über die reine Wort-für-Wort- oder Satz-für-Satz-Übersetzung hinausgeht. Es analysiert den gesamten Kontext, den Tonfall (z. B. formell, informell, poetisch) und die idiomatischen Feinheiten eines Textes. Dies führt zu Übersetzungen, die nicht nur grammatikalisch korrekt, sondern auch stilistisch passender und natürlicher klingen.

3. Ersetzt künstliche Intelligenz bald menschliche Übersetzer?

Für Standardaufgaben und allgemeine Texte wird künstliche Intelligenz wie Gemini viele menschliche Übersetzungen ersetzen oder den Prozess stark automatisieren. Für spezialisierte, kreative oder hochriskante Inhalte (z. B. Marketing, Literatur, juristische Verträge) bleibt menschliche Expertise jedoch unersetzlich. Die Rolle des Übersetzers wandelt sich hin zum Experten für Qualitätssicherung, kulturelle Anpassung und KI-Steuerung.

4. Ist die Nutzung von Google Translate mit Gemini sicher?

Für unkritische, alltägliche Übersetzungen ist die Nutzung sicher. Bei der Eingabe sensibler, persönlicher oder vertraulicher Daten ist jedoch Vorsicht geboten. Wie bei allen Cloud-Diensten werden die Daten auf den Servern von Google verarbeitet. Zudem können KI-Modelle Vorurteile (Bias) aus ihren Trainingsdaten reproduzieren, was zu unbeabsichtigten, aber problematischen Ergebnissen führen kann.

5. Welche Sprachen profitieren am meisten von der Gemini-Integration?

Anfänglich profitieren vor allem weit verbreitete Sprachen mit großen Mengen an digitalen Trainingsdaten, insbesondere Englisch in Kombination mit anderen großen Sprachen wie Französisch, Spanisch oder Deutsch. Sprachen mit weniger digitalen Ressourcen („low-resource languages“) werden erst später und möglicherweise in geringerem Maße von diesen Fortschritten profitieren, was die Kluft in der digitalen Sprachverarbeitung potenziell vergrößert.


Popular Articles